Meisterinnen der Anpassung
Mit „Fashionshow: Working Class Daughters” kritisieren Kristina Dreit, Karolina Dreit und Anna Trzpis-McLean Modewelt und Klassismus.
von Ella Vandré
Ein weißer Seat aus den 80er Jahren. Der Kofferraum und die Türen sind weit geöffnet. Überall hängen weiße T-Shirts mit Prints: WCD, das Logo der Gewerkschaften Ver.di oder IG Metall. Neben dem Auto stehen Kleiderstangen mit noch mehr T-Shirts des Labels „Working Class Daughters“. Aus dem Autoradio ertönt Jennifer Lopez mit „Jenny From The Block“. Vor dem Beifahrersitz steht eine Kühltasche auf dem Boden. Auch sonst liegt im vorderen Teil des Autos viel herum: eine Plastikrose, ein Button mit der Aufschrift „Stahlwerk jetzt!“, ein Foto von einem Mädchen, eine aufgeschlagene Vogue. Der Ton aus dem Radio wechselt: Verschiedene Stimmen erzählen von ihren Erfahrungen als Kinder der Arbeiter:innenklasse.
Die Installation „Fashionshow: Working Class Daughters” wird vom Performing Arts Festival Berlin und den Sophiensaelen in der Reihe „Introducing…“ vorgestellt. Die Künstlerinnen Kristina Dreit, Karolina Dreit und Anna Trzpis-McLean setzen sich in ihrem Arbeitszyklus intersektional und feministisch mit Klasse und Migration auseinander. 2019 sind sie mit dem Projekt schon im Frankfurt LAB aufgetreten, haben es weiterentwickelt und nun als Online-Konzept ermöglicht: eine Fotostrecke und ein Hörstück. Zu sehen ist der Kleinwagen im Hinterhof der Sophiensaele. Zu hören sind Interviews mit Frauen und Queers. Sie sprechen über Klasse. Die Interviews sammeln die Künstlerinnen seit 2018. Sie sind das Herzstück des Projekts.
Klasse wird besonders im Bildungskontext spürbar. Die Interviewten erzählen von ihren Erfahrungen an der Uni: Eine fängt über Judith Butlers Sprachstil an zu heulen. Sie könne doch die Lehrerin fragen, rät ihr ihre Mutter. Die Frauen erzählen, wie sie Meisterinnen der Anpassung werden: Sprache, Kleidung – die soziale Herkunft darf im akademischen Umfeld nicht auffallen.
Gleichzeitig gibt es eine tiefe Verbundenheit mit anderen Töchtern der Arbeiter:innenklasse – Solidarität, die Kampfgeist mit sich bringt. Je bewusster sie sich ihrer Herkunft und Entwicklung werden, desto selbstbewusster werden sie auch in der Repräsentation: „Es ist ein politisches Kalkül so zu reden, wie ich rede. Ich schäme mich nicht dafür, ein Arbeiterkind zu sein, weil ich weiß, ich musste doppelt so viel arbeiten, um an den Punkt zu kommen an dem ich jetzt bin. Das ist eine krasse Errungenschaft!“
In der Installation spielen die Künstlerinnen mit der Aneignung in beide Richtungen. Während Arbeiter:innenkinder sich einen „akademischen Look“ anziehen, präsentieren Fashion-Labels T-Shirts mit DHL-Print auf dem Laufsteg. „Diese kommerzielle Aneignung von Arbeit eignen wir uns wiederum an und verknüpfen sie mit realen Personen, Biografien und Kämpfen.“ heißt es im Teaser. Der Kleinwagen mit allerlei Ramsch auf den Vordersitzen sieht aus, als würde er die T-Shirts hinten auf einem Flohmarkt anbieten. Andererseits sind sie teils noch verpackt oder hängen auf Kleiderstangen mit bedruckten Papierbögen und Stoffproben – wie backstage bei einer Fashionshow. Die Capsule Collection des fiktiven Labels „Working Class Daughters”, das es in der Vogue auf eine Seite neben Dolce & Gabbana geschafft hat, wird zum Kofferraumhandel.
Kristina Dreit, Karolina Dreit und Anna Trzpis-McLean finden mit der Kombination aus Installation und Hörstück ein originelles Format. Die Interviews schaffen Verbundenheit, aber die Installation in ihrer Tiefe lässt sich gar nicht so leicht durchdringen. Im Artist-Talk erzählen die Künstlerinnen von ihrem Projekt und tauschen sich mit der Kulturaktivistin Luise Meier über Klassismus und Migration aus. Alexander Kirchner von den Sophiensaelen moderiert das Gespräch. Kapitalismus als Grund für Klassismus wird oft verdrängt, so Meier. In der Sowjetunion wurden Arbeiter:innen mehr wertgeschätzt. Dadurch gab es nicht so hohe Gefälle. Im Gespräch geht es auch um den Unterschied von Bildungs- und Klassenaufstieg. „Arbeiterklasse“ bedeutet nicht nur ein bestimmtes Berufsbild. Eine studierte Arbeiter:innentochter mit post-sowjetischem Hintergrund hat eine ganz andere Entwicklung hinter sich und lebt in einem anderen Umfeld als Kinder aus Akademiker:innenfamilien. Dieses Bewusstsein stärkt. Das merken die Künstlerinnen, wenn sie Interviews führen und damit Raum zum Austausch schaffen.
„Fashionshow: Working Class Daughters” ruft auf zur Auseinandersetzung mit Klasse, öffnet Blicke, verbindet und ermutigt.