Bantu bedeutet Mensch
Am Mittwoch ergab sich die Möglichkeit, drei Tanzstücke hintereinander zu sehen. Ihr roter Faden: die Bewegung. Dennoch waren sie grundverschieden. Ein Streifzug durch „TeeTanz“, „First Time Dead“ und „Ori Cleanse“.
von Per Kreutzberger
„TeeTanz“ von Eva Meyer-Keller und Sara Wendt eröffnete den Abend. Unterteilt ist der Abend in mehrere Abschnitte, die jeweils mit eigenem Titel vorgestellt werden und ihre szenenspezifische musikalische Untermalung haben.
Die erste Sequenz heißt „Aufwärmen“: Vor einer Küchenecke sitzt eine Person auf einem Stuhl und klopft sich mit zwei Kochlöffeln ab. Bevor man sich aber auf das Geschehen konzentrieren kann, wird die erste Darstellerin per Schnitt durch einen anderen Darsteller ersetzt. Richtig irritierend ist, dass der begleitende Song weiterläuft, aber zugleich neu startet. Durch die nun entstandene Dopplung des Liedes ertappe ich mich, wie ich zweimal das Vollbild verkleinere und meine Tabs überprüfe, um sicherzugehen, dass ich das Video nicht doppelt abspiele.
Von diesen Sequenzen gibt es insgesamt neun, alle mit einem eigenen Namen, Aufbau und musikalischen Untermalung. Besonders in Erinnerung geblieben ist „Balancieren“, dank der Musik und der Balancieraktionen, die die Darsteller:innen vor der Kamera präsentieren. Die Kreativität, die hier an den Tag gelegt wird, ist erstaunlich, vor allem die Ruhe, mit der ein Darsteller einen Besen auf seinen Kopf balanciert oder eine der Darstellerinnen zwei Orangen auf Esslöffel plaziert, die sie in ihrem Mund hält. Apropos Lebensmittel: In der Sequenz „Atmen“ wird absichtlich Tee auf dem Küchentisch verteilt.
Mitunter erinnert „TeeTanz“ an WG-Abende, an denen man ein wenig zu tief ins Glass geschaut und nach Unterhaltung gesucht hat: Da vergnügte man sich mit den Mitteln, die in der Küche zur Verfügung standen. Insgesamt ist die Choreographie mit knapp über einer halben Stunde Laufzeit eine perfekte Einleitung des Abends.
Weiter geht's mit Carla Moreras und Daniel Drabeks „First Time Dead“. Das Stück spielt zum größten Teil in einem Innenhof. Obwohl er der Spielfläche klare Grenzen setzt, wirkt er durch die verschiedenen Kameraeinstellungen dynamisch. Dadurch schweift der Blick seltener von den beiden Protagonist:innen ab: eine Frau und ein Mann.
In den ersten sieben Minuten scheint sich bereits die gesamte Geschichte einer Beziehung abzuzeichnen: vom Begegnen, über das Kennenlernen bis zur Intimität, Beziehungsstreitigkeiten, Momenten der Zärtlichkeit und der Trennung. Die beiden Protagonist:innen, dargestellt von Carla Morera und Daniel Drabek, fokussieren zunächst nur auf sich selbst, als ob die jeweils andere Person nicht anwesend wäre. Unvermittelt stoppt die Musik und Morera initiiert den ersten körperlichen Kontakt, entfernt sich aber, sobald Drabek ihre Geste erwidert. Mit Beginn des nächsten Musikstückes begibt er sich hinter sie, als ob er ihr folgen möchte oder hinter ihr Schutz sucht. Sie schaut fokussiert in die Ferne, er scheint erspähen zu wollen was sie sieht. Als sie beide zu Boden fallen, leitet dies das erste wirkliche Duett des Stückes ein, in dem Morera die Führung übernimmt.
In seinem Monolog sagt Drabek: „The first time I was dead. You know first time. First time, first love, what a feeling is this?“ Steht der im Titel genannte Tod also für ein gebrochenes Herz? Der Monolog ist schauspielerisch überzeugend und schafft es davon abzulenken, dass der Text gelegentlich konfus wirkt. Währenddessen löst die Kameraführung durch wiederholte extreme Close-Ups das Unbehagen aus, das der Darsteller beschreibt. In der dritten und letzten Szene sieht man Morera aus ihrem Fenster klettern und ihn tot vor ihren Füßen liegen. Doch statt zu trauern, scheint sie seine sterblichen Überreste neutral zu betrachten und zu überlegen, wie sie sie entfernen kann.
Carla Morera und Daniel Drabek gelingt es, in den knapp 20 Minuten von „First Time Dead“ die komplette Gefühlspanne einer Beziehung darzustellen, sie glaubhaft zu vermitteln. Choreographisch gestalten sie das Spiel zwischen ihren beiden Charakteren immer intensiver, steigern ihre Verbindung, bis sie abrupt zu einem Ende kommt. Ein großes Kompliment gilt Kamera und Schnitt: Arne Nitzsche und Sabine Bremer verleihen dem Stück durch ihre Arbeit eine eigene Dynamik, die auch den Raum und die Atmosphäre zur vollen Geltung bringen, ohne vom Hauptgeschehen abzulenken.
Den Abschluss des Abends bildet Ricardo de Paulas „Ori Cleanse“, das einzige politisch- und sozialkritische Stück des Dreiergespanns. Der Abend alterniert zwischen Probenaufnahmen und Besprechung, Vorstellungsausschnitten und den Tänzer:innen bzw. Performer:innen, die sich dem Publikum vorstellen und ihnen ihre Geschichte erzählen, ihre Motivationen und ihre Sicht auf die heutige Gesellschaft und die zeitgenössische Tanzwelt mitteilen.
Alle Darsteller:innen verbindet, dass sie People of Color und erst im Laufe ihres Lebens nach Berlin gekommen sind. Daneben sind sie aber ein heterogenes Team verschiedener Nationalitäten und Disziplinen, das ein gemeinsames Projekt verwirklicht. Nachdem sich die Performer:innen vorstellen, wird ein Probenausschnitt eingeblendet, der dem Publikum erlaubt, sich mit ihnen weiterhin bekannt zu machen und einen ersten Eindruck ihres Performancestils zu gewinnen.
Diese Probenausschnitte ermöglichen dem Zuschauer den Gedanken- und Probenprozess mitzuerleben. Hier eröffnet sich dem Zuschauer ein neues Verständnis des Dargebotenen, wird ein starker Kontrast etabliert zwischen den Studioaufnahmen und denen, die im Zuschauersaal aufgenommen wurden. Farblich heben sich die beiden Orte voneinander ab: Während das Studio weiß gehalten ist und der Raum sehr offen wirkt, ist der Bühnenraum dunkel. Hier lenken Spotlights das Augenmerk auf die jeweiligen Darsteller:innen. Um diese Intimität weiter zu verstärken, werden Halbnah- und Nahaufnahmen eingesetzt.
Ein Hauptaugenmerk der Bühnenaufnahmen ist die Nacktheit der Darsteller:innen, die aber durch die Aufnahmetechniken, die Beleuchtung und Pflanzen, die vom Bühnenhimmel hängen (neben einer goldenen Kaurimuschel das einzige Kostümelement), begrenzt wird. So wird Nacktheit zum Stilmittel, das dem Zuschauer erlaubt, sich auf die Körpersprache der Darsteller:innen zu konzentrieren.
Zwischen den Tanzausschnitten werden immer wieder Einzel- oder Gruppeninterviews gezeigt, in der die Darsteller:innen über ihre Erfahrungen reden: Wie sie aufgewachsen sind, über ihre Unsicherheiten, Einstellungen zur heutigen Lage, aber auch über die Kultur ihrer Vorfahren und deren Geschichte. Sie kritisieren die Art und Weise, wie Menschen in der heutigen Gesellschaft, egal welcher Herkunft, mit Vorurteilen aufwachsen und dass diese überwunden werden müssen. Einmal sagt einer der Tänzer über die Bantu Zentralafrikas: „Les Bantous, ça veut dire les êtres humains. Nos ancêtres s’appelaient les humains, ils ne se définissait pas par leur couleur de peau.“ (Bantu bedeutet "Mensch". Unsere Vorfahren nannten sich Menschen, sie haben sich nicht über ihre Hautfarbe definiert.)
„Ori Cleanse“ ist ein Abend, der durch seine unterschiedlichen Persönlichkeiten besticht und zur Selbstreflexion einlädt. Durch die Authentizität der einzelnen Darsteller:innen wird man mehr und mehr in das Stück hineingezogen, bis man dann plötzlich davon überrascht wird, dass die 50 Minuten schon vorbei sind.