Alles ändert sich
Schon zum zweiten Mal musste das Performing Arts Festival von den Straßen und Theatern Berlins ins Netz verlegt werden – diesmal immerhin mit Ansage. Und anders als 2020 mit einem vollen Programm: Etwa 100 Produktionen werden zwischen dem 25. und 30. Mai 2021 zu sehen sein. Ein Gespräch mit Nora Wagner vom Programm-Team über Netztheater, Öffnungsdebatten und das, was fehlt.
von Georg Kasch
Nora, du hast das Online-PAF jetzt zum zweiten Mal mitgeplant. Was hat sich seit dem vergangen Jahr verändert?
Nora Wagner: Anders ist, dass die Pandemie in diesem Jahr nicht überraschend kam. Letztes Jahr wurde es komplett normal geplant – und dann musste plötzlich alles geändert werden. Auch für die Künstler:innen war das eine ganz neue Entwicklung. Deshalb hatten wir uns bewusst entschieden, nicht auf Online-Performances zu gehen, sondern die PAF-Doku-Serie zu machen, um die Künstler:innen in der ohnehin schon stressigen Situation nicht so zu überfordern, ihre Perspektiven auf die damalige Situation jedoch trotzdem erlebbar zu machen. Dieses Jahr haben wir im Open Call von Anfang an auch digitale Alternativen ausgeschrieben: Reicht ein, was ihr zeigen wollt, gerne auch digital! Denn das PAF zeigt ja vor allem die Entwicklung der Freien Szene im vergangenen Jahr und da kann man digitale Formate nicht außen vorlassen.
Du hast es angesprochen: Im letzten Jahr gab es so gut wie kein Netztheater oder Online-Performances. Hat die Vielfalt der Angebote in diesem Jahr vor allem etwas damit zu tun, dass sich die Künstler:innen mit diesem Medienwechsel auseinandersetzen mussten, um überhaupt etwas zeigen zu können?
Sicherlich auch. Der Unterschied ist, dass die Künstler:innen in diesem Jahr nicht spontan ins Digitale gesprungen sind, sondern digital ihre Inhalte entwickelt haben und das Digitale ein inhärenter Teil der Performances ist. Da wurde nicht mal schnell eine Kamera zum Mitschneiden aufgestellt. Das sind keine Verlegenheitslösungen, sondern digitales Theater. Gleichzeitig gab es diese Strömung in der Freien Szene auch schon vor der Pandemie, nun bekommt sie aber natürlich mehr Aufmerksamkeit.
Klingt eigentlich nach einem sanften Übergang. Allerdings fällt auf, dass in diesem Jahr wichtige Namen der Freien Szene fehlen, aber auch ganze Genres dünn besetzt sind.
Ja, insbesondere der Zeitgenössische Zirkus und das Figuren- und Objekttheater haben sich oft nicht so gut in den digitalen Raum übertragen lassen. Das sind ohnehin schon die oft weniger repräsentierten Genres – jetzt besteht die Gefahr, dass sie noch stärker hinten runterfallen. Gleichzeitig sind gerade diese Genres sehr flexibel und von ständiger Innovation geprägt. Darauf gehen wir auch in einem unserer Panels ein, das sich mit den Ästhetiken und Freiräumen des Zeitgenössischen Zirkus beschäftigt.
Wie lässt sich eigentlich auf einem digitalen Festival so etwas wie Gemeinschaft herstellen?
Gute Frage... Wir hoffen sehr, dass es uns gelingt, durch unser Rahmen- und Diskursprogramm, aber auch durch die digitale Bar und andere Netzwerkangebote eine Begegnung im digitalen Raum zu schaffen. Auch diese typische Art von Festivalgefühl: Man sieht Performances, dann greift man die Themen wieder auf und hört sich einen Vortrag dazu an, geht in den Diskurs, geht abends noch in die digitale Bar, trifft so auch immer wieder Leute, die sich mit denselben Themen beschäftigen und kann sich austauschen. Aber natürlich ist es eine große Herausforderung, die Begegnungen im digitalen Raum aufrechtzuerhalten. Deshalb beschäftigen wir uns im Diskursprogramm damit, wie verschiedene Räume Einfluss haben, was in welche Räume wandern kann oder wo auch einfach Räume fehlen.
Gab es eigentlich Pläne für ein Hybrid-Festival?
Ja. Wir haben sehr lange auf eine Outdoor-Lösung gehofft. Auch in diesem Bereich gab es unheimlich viele Einreichungen. Es war beeindruckend zu sehen, was die Szene da alles vorgeschlagen hat und wie kreativ sie mit den Bedingungen der Pandemie umgegangen ist.
Wie oft habt ihr unter dem Eindruck der aktuellen Pandemieentwicklung in den letzten zwei Monaten das Programm umschmeißen müssen?
Wir sind immer noch dabei, vieles zu ändern! Nach den neuesten Lockerungsankündigungen für die nächste Woche hatten wir gerade eine Krisensitzung darüber, ob Performances, die für draußen geplant sind, jetzt vielleicht doch stattfinden können. Die finale Verordnung dazu ist ja noch nicht raus.
Das heißt: Der Spielplan ist noch am Wachsen.
Genau – wahrscheinlich bis kurz vor Festivalstart.
Wenn demnächst die Pandemiebestimmungen gelockert werden und die Theater wieder öffnen dürfen, was überwiegt dann: der Frust, dass das PAF noch weitgehend online stattfinden musste oder die Freude, dass es endlich wieder losgeht?
Bei uns allen überwiegt klar die Freude, wenn endlich wieder geöffnet werden darf. Wir hoffen vor allem, dass es auch wirklich so kommt und es nicht wieder eine Welle gibt, sodass erst die Bars öffnen, dann die Infektionszahlen steigen und alles gleich wieder schließen muss. Sondern, dass die Häuser und andere Spielorte jetzt wirklich mal zum Zug kommen. Denn das PAF ist ein Festival für die Freie Szene. Und die Szene braucht diese Orte, die schon lange wieder da und offen sein sollten.