Versteckenspielen im Netz
Eine digitale Schnitzeljagd verspricht „Befriending Ghosts“: Hinweisen auf Profilen folgen, Chaträume und Zoom-Sessions erkunden, eigene Spuren für die nächsten Personen hinterlassen. Mit ihrer interaktiven Online-Performance ist die paranormal φeer group Teil der „Introducing…“-Reihe vom PAF. Ein Gespräch mit Maria Huber, Jakob Boeckh und Ole Hübner über die Arbeit im digitalen Raum, Sammelwut und unseren täglichen Spuren im Internet.
von Philipp Conrad
Welche Spuren habt ihr denn heute schon im Internet hinterlassen?
Ole: Ich habe auf jeden Fall schon etwas auf Facebook kommentiert. (lacht)
Maria: Ich habe heute schon etwas gedownloadet, aber ich nutze eigentlich einen VPN und hoffe, dass ich so keine Spuren hinterlasse.
Jakob: Neben einem gekauften Online-Bahnticket war meine letzte Spur gestern Abend. Da hatte ich in einer anderen Konstellation Premiere, die auch online gestreamt wurde.
Warum habt ihr das Format einer interaktiven Online-Performance gewählt?
Maria: Zuerst war da die Beschäftigung mit der Idee von Geistern und unser Anspruch, neu über sie nachzudenken. Dann kam noch der Aspekt einer Materialsuche ins Spiel mit dem Ziel, Geister zu finden. Daraus wurde dann die Online-Performance. Wir haben zuvor schon viel über Spuren und Fragmentarisches gesprochen und wie man in ihnen Geister finden kann. Anfangs hatten wir dafür den Arbeitstitel „Gespensterjagd“.
Jakob: Der Fokus auf die Involvierung der Zuschauenden war auch relativ früh da, denn es geht auch um ihre persönliche Erfahrung. Die Performance bietet eine Plattform, über die das Publikum Geschichten teilen kann und individuelle Erfahrungen macht. Die Erlebnisse mit der Performance sind überhaupt nicht deckungsgleich zwischen den Zuschauenden. Jeder erlebt etwas anderes.
Ole: Es gibt auch einen Wunderkammer-Gedanken mit einer ortsspezifischen Herangehensweise, dass also das Internet ein Ort ist, der sich mit bestimmten Materialien füllen lässt. Die Performance beinhaltet viele Sounddateien, Fotos und Videos, wie sie es nur im Internet gibt.
Ihr habt bisher viel klang- und raumbasiert gearbeitet. Zuletzt zum Beispiel in der Lecture-Performance „Staying Broken“. Welchen Klang hat das Internet für euch?
Ole: Ich glaube, das Internet an sich klingt erst mal gar nicht oder es klingt nach dem, was man reintut.
Jakob: Da muss ich dir widersprechen. Dadurch, dass das Internet so vollgestopft ist mit sehr zufälligen Dingen, kommt auch immer wieder mal ein Sound hoch. Wir sind während der Arbeit an der Performance auf aussterbende Geräusche gestoßen, wie das Brummen von einem alten WLAN-Router. Es gibt auch Datenbanken, die diese Klänge sammeln. Wenn man die alle gleichzeitig abspielen würde, dann käme es wahrscheinlich zu einem weißen Rauschen.
Ole: Es ist ein Alles oder Nichts. Das Internet als Medium hat an sich keinen Klang, aber wenn man alle Geräusche, die man im Internet findet, zusammennimmt, dann entsteht vielleicht schon dieses Rauschen. Es wären ja dann alle Klänge, die es überhaupt gibt.
Maria: Wenn ich es mir vorstellen müsste, wäre es aber nicht nur Rauschen, sondern auch sehr viele elektronische Geräusche. Man kann zwar alles reintun, aber es ist trotzdem digital verarbeitet. Das ist spannend: Es gibt zwar alles, aber auf eine sehr spezifische Art und Weise.
Dann zum räumlichen Aspekt: Wie war die Arbeit im virtuellen Raum?
Ole: Wir haben erst einmal ganz viel Material generiert und dann in Anordnung gebracht. Wir haben uns dafür interessiert, wie man von A nach B kommt und für den Raum dazwischen, also die Verlinkungen. Welche Plattformen bieten eine Möglichkeit für eine Verbindung? Wo und wie kann man Links unterbringen? Wie kann man die Links so verstecken, dass man sie auch findet? Wir haben dann eine große Übersichtskarte für uns erstellt, die fast schon wie ein Spielbrett war.
Maria: Was mir besonders Spaß gemacht hat, war das Verstecken. Denn wir sind nicht in den Quellcode der Seiten gegangen und haben etwas an denen verändert – wir sind ja keine IT-Profis. Im Prinzip spielen wir Verstecken an öffentlichen Orten. Da entsteht die Frage, ob das vielleicht eine subversive Strategie ist, weil wir Sachen an eigentlich offensichtlichen Orten verstecken, wo jeder darauf zugreifen kann.
Jakob: Spannend war auch, wenn wir an die Grenzen unserer Räume kamen und nicht mehr mit selbsterstellten, sondern mit gefundenen Materialien arbeiteten – an sich richtige Fundstücke. Wir wollten auch das Gefühl nachkreieren, wenn man sich abends nur einen Artikel durchlesen möchte und zwanzig Tabs später steckt man dann plötzlich in einem ganz anderen Thema drin. Dann kommt die Frage, wie das denn jetzt passiert ist.
Wie hat die Arbeit an der Performance euer Verhalten im Internet beeinflusst?
Ole: Ich glaube, mein Verhalten hat sich nicht geändert, zumindest nicht durch die Performance, sondern eher durch den Umstand von Corona. Aber es haben sich einige neue künstlerische Möglichkeiten für uns erschlossen. Durch die intensive Beschäftigung ist uns klar geworden, was für Kunstproduktion möglich ist, wenn man nicht physisch zusammenarbeiten kann.
Maria: Im Sinne von künstlerischem Inhalt habe ich vorher immer gedacht, dass, sobald ich etwas hoch lade, es eine gewisse Finesse haben muss und es muss in dem Moment fertig sein. Da sitzt man drei Tage an einem einzigen Facebook-Post. Das trifft so aber nicht auf die Performance zu. Es steckt definitiv viel Zeit drin, aber auch eine bestimmte Spontanität, die ich gerade sehr wertschätzen kann.
Wie sollte man mit unseren digitalen Überresten und Spuren umgehen, wenn wir zum Beispiel sterben?
Maria: Ich habe vor einiger Zeit von einem Projekt in Kalifornien gehört, wo der erste digitale Friedhof erstellt und gefördert werden soll. Der soll sowohl die verstorbenen Überreste als auch die digitalen beerdigen. Daran muss ich bis heute denken. Interessant ist, dass unsere Performance auch eine Übung des Archivierens ist. Sachen werden archiviert, die eigentlich nur für einen kurzen Moment gedacht sind. Ich glaube aber nicht, dass irgendetwas davon dauerhaft ist. Wir haben ja vor kurzem gesehen, was passieren kann, wenn die Server abbrennen. Die Daten sind dann alle weg.
Jakob: Für ein Material in der Performance wollte ich unbedingt SchülerVZ verwenden, weil das damals meine erste Schnittstelle zum Internet war. Dann musste ich aber feststellen, dass es SchülerVZ nicht mehr gibt. Es ist alles gelöscht und ich bin so dankbar dafür. (lacht) Aber trotzdem, wie Maria es gesagt hat: Das Netz tut so als wäre es für die Ewigkeit, ein paar Sachen sind es vielleicht auch, aber es wird auch ganz viel mit der Zeit verschwinden.
Ole: Eine interessante Erfahrung ist, dass ein befreundeter Musiker gestorben ist, aber seine Frau hält noch seinen alten Facebook Account aufrecht, erstellt dort auch neue Posts. Das ist eine ganz seltsame Erfahrung. Es haben sich zwar mittlerweile alle daran gewöhnt. Trotzdem fühlt es sich an wie ein Wachhalten der Erinnerung, wenn man so einen Post sieht. Es ist eine Art Klammern an eine physische Existenz, die nicht mehr da ist.
Maria: Das finde ich eigentlich ganz schön, wenn man Leute damit beauftragen könnte, den eigenen Facebook-Account nach dem Tod weiterzuführen. Solltet ihr die Möglichkeit haben, möchte ich, dass ihr post mortem weiter auf meinem Facebook-Account postet mit Nachrichten aus dem Jenseits. (lacht)
Ihr habt schon erzählt, dass die Performance aus diesen unzähligen Materialien und Seiten besteht. Was soll aus denen in der Zukunft werden?
Ole: An sich ist es noch ein Work-in-progress. Wir können es später wieder aufgreifen, erweitern und zu einer anderen Gelegenheit veröffentlichen. Das ist der grundlegende Plan und auch eine attraktive Option, sich das offen zu halten. Einige Sachen werden wir löschen müssen, da wir sie nicht mehr kontrollieren und moderieren können. Vor allem die Seiten, wo Leute selber etwas schreiben können, die werden wir irgendwann löschen oder sperren müssen.
Maria: Da muss ich dir widersprechen, Ole. Gerade die Orte, an denen die Menschen Sachen hinterlassen können, sind doch spannend. Wenn man zum Beispiel den Link auf unserer Webseite teilt und Personen sich in dieses Netzwerk begeben können. Ich sehe es wie Gartenarbeit: Alle paar Monate muss man sich halt einmal darum kümmern. Das Internet ist ja auch ein öffentlicher Platz, man hat darin eine gemeinsame Verantwortung. Wenn ich etwas so offen bereitstelle, werde ich natürlich überprüfen, dass alles geregelt ist; Hasskommentare werden dann schon gelöscht. Aber ich möchte dann auch die Verantwortung ganz bewusst abgeben.
Jakob: Einige Sachen werden wir tatsächlich runternehmen oder löschen müssen, wenn die Performance nicht gespielt wird. Manche Seiten kosten auch monatlich Geld. Aber wir haben auch weitere Ansätze gefunden. Als wir angefangen haben daran zu arbeiten, bin ich auf Dinge im Internet gestoßen, die ganz interessant wären und die man später hinzufügen könnte. Vielleicht wird das Ganze in der Zukunft dann noch erweitert. Das Sammeln hört jedenfalls nie auf.