Theater könnte so vieles sein
„Wo beginnt eine Krise – und wo hört sie auf?“, fragen Performing Arts Festival Berlin und Berliner Theatertreffen mit Blick auf Corona und Strukturen – und blicken in die Zukunft.
von Nick Krause
Das Performing Arts Festival Berlin steht in den Startlöchern – online. Auch dieses Jahr spielt sich die Begegnung zwischen Performer:innen und Publikum fast ausschließlich im digitalen Raum ab. Über ein Jahr globale Pandemie bedeutet auch über ein Jahr Social Distancing, über ein Jahr Kontaktbeschränkungen und über ein Jahr Verzicht auf kulturelle Einrichtungen. Die Frage nach einem „Wann?“, nach einem „Wie lange noch?“ bleibt da nicht aus. Und so heißt es natürlich auch bei Theatern: Wann werden sie wieder öffnen können?
Im ersten Teil der Gesprächsreihe „Worauf warten wir?“ fragt das PAF zusammen mit dem Berliner Theatertreffen allerdings auch nach einem „Wo?“. Wo eine Krise beginnt und wo sie aufhört, diskutieren Carsten Brosda als Präsident des Deutschen Bühnenvereins, einer Art Arbeitgeberverband der Theater, Laura Kiehne vom ensemble-netzwerk, das sich für die Arbeitsbedingungen von Künstler:innen einsetzt, sowie Patrick Wildermann in einem Gespräch über die bundesweite Situation der Theaterlandschaft und ihre Zukunft.
Die sogenannte „Krise des Theaters“ hat, so Kiehne, nicht erst mit Corona begonnen, sondern ist nur die Spitze des Eisbergs der letzten 30 Jahre. So eine Pandemie ist zumindest sehr gut darin, aufzuzeigen, welche Strukturen nicht funktionieren. Brosda bezeichnet sie auch als Katalysator, der die bestehenden Probleme in den Vordergrund rückt. Die Aufgabe soll es nun sein, als Kunstschaffende mit gemeinsamen Interessen stärker zusammenzuarbeiten.
Doch was sind konkret die Probleme? Zum einen die finanziellen Mittel. Insbesondere die Freie Szene in ländlicheren Regionen hat damit mehr zu kämpfen und auch ganz andere Fördervoraussetzungen als die Metropolen. Es sollte generell eine einheitliche Handhabung solcher Förderungen greifen, um hier zu unterstützen. Ein weiteres Problem ist die finanzielle Unterstützung für Schauspieler:innen und Tänzer:innen. Freischaffende fallen zum Beispiel erst einmal durch alle Unterstützungsraster und bekommen auch bei kurzfristig abgesagten Vorstellungen keine Gage. Kiehne appelliert hier an Tarifverträge als sinnvolle Schutzmechanismen – auch für Freie.
Auch strukturelle Probleme sind durch die Krise sichtbarer geworden. Viele Arbeitnehmende in der Branche trauen sich nicht, Kritik bei ihren Arbeitgebenden zu äußern, da sie mit ihren Einjahresverträgen die Kündigung fürchten. Helfen, so Kiehne, würde ein Rahmen- und Regelwerk, das für alle sichtbar gemacht wird. Dabei geht es nicht darum, basisdemokratische Entscheidungen über alles treffen zu wollen, sondern lediglich um eine größere Transparenz und ein Mitspracherecht in organisatorischen und sozialen Fragen, beispielsweise bei der Wahl von Leitungspersonal. Laut Brosda könnte hier auch der Bühnenverein, der seinen Mitgliedern ja nichts vorschreiben, sie allerdings beraten kann, ein Forum sein, in dem Lust darauf geweckt wird, neue und diversere Modelle auszuprobieren.
Und wo hört die Krise auf? Für Brosda gibt es diesen Zeitpunkt nicht – und das sei auch gut so. Veränderung und Verbesserung zu fordern, sei Teil des Theaters. Brosda hofft, dass das in der Zukunft mehr über inhaltliche Krisen statt strukturelle geschieht. Es gilt, die Arbeitsweisen des Theaters zu verändern und dafür auch diversere Vertreter:innen an die Häuser zu holen, um einen möglichst großen Teil der Gesellschaft abzubilden. Ihr vielleicht auch ein Stück den Weg zu weisen, wie es Brosda ein wenig utopisch formuliert.
Theater könnte so vieles sein – und so vieles werden. Doch hier sind sowohl die Menschen als auch der Staat gefragt: Wir müssen dem Theater auch mehr Bedeutung zuschreiben wollen. Denn was heißt es für eine Gesellschaft, wenn Kultureinrichtungen so lange geschlossen sind? Als die Häuser zum zweiten Mal schließen mussten, kam der Protest vor allem aus der Künstler:innen-Szene, nicht aber aus der allgemeinen Bevölkerung. Kiehne und Brosda schlagen hier vor, Theater zu öffentlichen Räumen in der Stadt zu machen, die Foyers auch tagsüber zu öffnen als Mischung aus Café und Bibliothek und mit freiem WLAN für alle – damit sie wirklich ein Haus für die gesamte Stadt werden können.
Nach der Pandemie könnte das einer der Orte sein, an denen wir endlich wieder zusammenfinden. Da hört die Krise dann auch noch nicht auf. Aber vielleicht wäre das einer der Gewinne, die wir bald gemeinsam aus dem Corona-Verlust schöpfen und durch die wir Reformprozesse in Gang setzen können.
Das ganze Gespräch zum Nachschauen und Hören gibt es hier.
Weitere Gespräche der Programmreihe „Worauf warten wir?":
27.05. 12:00 beim PAF: „Gespräch zu Macht- und Diversitätsfragen in den darstellenden Künsten"
28.05. 12:00 beim PAF: „Corona Update #3000 – wie gehts es weiter?"