Szenen aus dem Pandemieleben


Wanja@home erlaubt einen Einblick in die Situationen von Tschechows Figuren und berührt mit den kleineren menschlichen Momenten.

von Philipp Conrad

Das Handy in die Halterung, auf Position gehen, nochmal den Text wiederholen und – Mist. Die Kameraperspektive stimmt noch nicht ganz. Ist ja nicht schlimm, die kann man nochmal kurz ändern. Nächster Versuch: Die Perspektive stimmt, und: Aufnahme! Diesmal fehlt Anastasia Bisylas Marina der Text. Noch ein Versuch: Jetzt passt alles, die Aufnahme ist super und – der oder die Mitbewohner:in stürmt herein. Alle, die einmal selbst versucht haben, ein Video aufzunehmen, erkennen die alltägliche Situation sofort.

Das ist nur ein kleiner Teil der Ansammlung von Szenen, die das was-ihr-wollt-ensemble und Regisseur I.T. van Urk mit „Wanja@home zeigen. Der Zoom-Film überträgt dabei holprig Tschechows Drama „Onkel Wanja“ um den titelgebenden Gutsverwalter, seine Familie und Freunde mit all ihren großen und kleinen Dramen in die gegenwärtige Pandemiesituation. Die Grundhaltung bleibt dabei dem Original treu: Es sind immer noch Szenen aus dem Leben, in dem niemand so richtig glücklich wird. Nur sind es jetzt eben keine aus dem Land-, sondern aus dem Pandemieleben.

Die Figuren stecken fest in ihren eigenen vier Wänden, sind von Langeweile geplagt und können ihre aufkommenden Probleme und Konflikte nur in Richtung Computer-Kamera schreien. Bei all dem Frust hilft manchem allein der Alkohol, der fließt und fließt und fließt – bis zum unausweichlichen Kotzen. Die Figuren machen sich anscheinend selbst kaputt. Oder ist es der derzeitige Umstand, der sie so verzweifeln lässt? Alison Schumacher, bei der Wanja (anders als bei Tschechow) eine Frau ist, verkörpert vieles: Die Frustration der breiten Bevölkerung, die betrogene Lebenspartnerin und die junge Studentin voller Tatendrang, die sich nicht ausleben kann.

Die Szenen pendeln dabei stets zwischen Komik und tiefer Ernsthaftigkeit. Eben noch hat Marina zweifelhaft versucht, ihr Video zu drehen. In der nächsten Szene wird man mit dem exzessiven Alkoholkonsum der Figuren konfrontiert. In einem Moment noch lachen Marie Hartmanns Sonja (herzzerreißend!) und Charlotte Schifflers Helena angetrunken im Zoom-Call. Plötzlich eine Frage: Stehst du auf den Arzt? Das Pulverfass ist gezündet und nichts kann die emotionale Eskalation verhindern.

Die Übertragung des klassischen Stoffes in die Pandemiezeit bringt neue Facetten für den Text, birgt aber auch einzelne Stolperfallen für die Inszenierung. Wie kann jemand aus Versehen in einen intimen Zoom-Call hineinstolpern? Die Doppelbesetzung einiger Figuren erschließt sich leider auch nicht. Mitten im Gespräch gibt es eine kurze Störung und plötzlich ist einer der beiden Gesprächspartner ausgewechselt und der vorherige Satz wird nochmal wiederholt. Es wird zwar klar, dass es eine Doppelbesetzung ist, aber das Warum erschließt sich nicht.

Trotz dieser kleineren Unschärfen punktet die Performance in den menschlichen Momenten zwischen den Figuren. Sie erinnern einen stellenweise an eigene Lockdown-Situationen und -Szenen. Obwohl am Ende das Pandemieleben noch kein Ende gefunden hat und auch die Mehrheit der Figuren wie schon bei Tschechow kein Happy-End bekommt – Marina zum Beispiel versucht noch immer ihr Video aufzunehmen –, so gibt es trotzdem einen Hoffnungsschimmer: Die Krise wird vorübergehen. Das Ausleben von Momenten wird wieder möglich sein. Es braucht nur etwas Geduld.