Schluss mit Shakespeare!


„Family of the Year“ heißt die neuste Produktion des Kollektivs cmd+c. Der im Sommer 2020 entstandene Film war ursprünglich als Bühnenstück angedacht – bis die Premiere Corona-bedingt abgesagt werden musste. Nun ist die Film-Adaption, die sich um Familienmodelle, Co-Parenting und Fragen des Patriarchats dreht, Teil der Introducing-Reihe des Performing Arts Festival Berlin 2021. Ein Gespräch mit Marina Prados und Paula Knüpling über queere Repräsentation, Machtstrukturen am Theater und Generationswechsel.

von Nick Krause

cmd+c ist eine Tastenkombination. Was hat es damit als Name auf sich und spricht man euch auch so aus?

Marina: Wir nennen uns „cmdc“, wie auf Englisch. Wir wollten einen Namen finden, den alle lesen können, egal welche Sprache sie wie gut sprechen.

Paula: Aber es ist offen für Interpretation. Wir dachten an Computer. Es ist zwar Apple, aber…es sollte ein bisschen sprachfrei sein, deswegen ist es auch normal, dass Leute das unterschiedlich aussprechen. Cmd+c ist ja „command c“ – so lässt sich das auch aussprechen – und da ist die Idee des Kopierens, weil wir auch viele Themen aus unserem Leben und aus der Realität heraus in unsere Kunst kopieren.

Ihr sprecht von einer Notwendigkeit für queere, feministische Geschichten, die die Regeln des Establishments brechen. Wie zeichnet sich dieser Ansatz in euren Arbeiten ab?

Marina: Am meisten hinter den Kameras. Wie wir das Casting machen, wie wir die Leute sammeln… Wir wollen einen Safe Space für die Leute schaffen, die mitmachen und die Geschichten schreiben.

Paula: Es geht um ein inhärentes Queer-Sein und Feministisch-Sein. So wie es sich gerade im Establishment anfühlt, geht es oft in die Richtung von Pinkwashing. Und wir wollen, dass das gebrochen wird, auch in der Arbeitsweise des Theaters. Für uns soll es mit dem einhergehen, was wir erzählen. Es muss nicht immer eine Coming-Out-Story sein, sondern Diversität kann schon dadurch existieren, dass queere Menschen anwesend sind, und das spiegelt sich in der Arbeitsstruktur wider.

Wenn man das Ziel hat, diverse Geschichten abzubilden, läuft man manchmal Gefahr, in die entsprechende Schublade gesteckt zu werden. Fühlt ihr euch manchmal auf Queerness reduziert?

Paula: Um in einem System zu funktionieren, muss man sich ja immer einordnen, damit man eingeordnet werden kann. Es ist ein schmaler Grat zwischen in einer Schublade stecken und nicht stecken. Aber wir wollen uns nicht nur auf diese Themen beschränken. Bei „Here“, das wir 2018 mit P14 an der Volksbühne in Kollaboration mit der Sala Beckett Barcelona gemacht haben, ging es zum Beispiel um Fernbeziehungen, in „Single lives as single wants“ an der Schaubude, das 2019 auch beim PAF zu sehen war, um Fake News und Politik. Nur weil wir queer sind, müssen wir nicht singulär über Queerness sprechen.

Berlin ist ja an sich schon eine vielfältige Stadt. Was fehlt euch da in der Szene?

Marina: Für mich fehlen queere Leute hinter den Produktionen. Wo sind die Trans-Menschen, Nonbinary-Menschen, POC als Leute, die die Macht haben, zu bestimmen, welche Geschichten erzählt werden und welches Geld in die Stadttheater fließt? Es müsste auch Quoten für queere Leute und POC geben.

Habt ihr immer ein bestimmtes Ziel im Hinterkopf, wenn ihr an einem neuen Projekt arbeitet?

Paula: Das Ziel ist reich und berühmt zu werden! Nein, Quatsch. Ich glaube, es geht einmal darum, einen Raum einzunehmen, auch in Förderstrukturen. Allgemein ist das Ziel glaube ich, Denkanstöße zu geben und der Gesellschaft neue Möglichkeiten aufzuzeigen.

Und während des Arbeitsprozesses?

Marina: Wir wissen immer klar, was wir sagen wollen, aber sind sehr flexibel mit den Schauspieler:innen und Performer:innen und den Texten. Bei „Family of the Year“ haben wir mit unseren Freund:innen und unserer Familie gearbeitet und wollten das Konstrukt Familie untersuchen. Niemand wusste den Text und wir haben nur improvisiert. Im Kollektiv cmd+c sind wir zu zweit und bei jeder Produktion kommen immer andere Leute dazu. Im nächsten Projekt arbeiten wir mit Schauspieler:innen, Laien, Sexarbeiter:innen und Leuten, die mit Missbrauch zu tun hatten. Sexarbeiter:innen sagen klar, was sie machen und nicht machen wollen. Davon wollen wir als Schauspieler:innen lernen.

Ihr seid sehr multimedial aufgestellt und beschreibt eure Arbeit als Transarts, die Film, Theater, Oper, Musical und Dokumentarisches kombiniert. Ihr bietet sogar Workshops zum technischen Einsatz im Theater an. Fiel euch dadurch die – durch die Corona-Pandemie erzwungene – Umstellung auf Online-Formate leichter?

Marina: Als Digital Natives haben wir schon vorher mit der Digitalisierung angefangen. Aber als die Pandemie kam, waren wir ein bisschen so: „Ach, ich will nichts Digitales machen.“ Wenn plötzlich alle das machen, habe ich das Gefühl, wir als junge Generation müssen was anderes machen als die Stadttheater. Aber generell wollen wir uns über die Inhalte definieren und das Format soll den Inhalt nur unterstützen.

Bei eurem Festival-Beitrag „Family of the Year“ habt ihr aufgrund der Pandemie auch wieder medial experimentieren und auf digital umstellen müssen. Sind diese Corona-Umstellungen ein Fluch oder vielleicht auch mal ein kreativer Segen?

Paula: In dem Fall war’s ein kreativer Segen. Bei „Family“ standen wir kurz vor der Premiere, aber es als Film zu machen, war letztendlich besser. Es war eine Herausforderung, weil wir nur einen Monat und unglaublich wenig Geld für eine Filmproduktion hatten und alles umschreiben mussten. Aber künstlerisch war es ein Segen.

Das Performing Arts Festival Berlin findet ja dieses Jahr wieder größtenteils online statt. Wie fühlt sich das an, auf einem Festival vertreten zu sein, auf dem man gar nicht zusammenkommen und Reaktionen erleben kann?

Marina: Hart. Aber diese Ruhe hat auch was Gutes. Und Feedback kommt trotzdem noch bei dir an. Film ist sowieso ein anderer Prozess, wenn du weißt, jetzt muss ich einfach nur der Arbeit vertrauen.

Paula: Aber es ist natürlich schade für das Festival. Wir freuen uns auch, von der Struktur und dem Festival gestützt zu werden. Die anderen Leute von Introducing haben wir jetzt über Zoom kennengelernt. Es fühlt sich nur so halb real an.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft des Theaters?

Marina: Ich wünsche mir, dass Theater weg von Klassikern gehen. Schluss mit Shakespeare-Neuinterpretationen und Reproduktionen, um mehr Raum für die neuen Generationen zu geben. Wir haben so viel zu sagen.

Paula: Strukturwechsel, Machtwechsel und Dezentralisierung. Du kannst nicht neue Geschichten erzählen, wenn die zentrierte Spitze an der Macht immer noch alte weiße Männer sind. Die Strukturen sind mindestens die halbe Miete des Endprodukts. Wenn du beschissene Arbeitsbedingungen und Machtmissbrauch hast, kann ich nicht am Ende sagen: „Das Stück ist aber geil“. Das gehört zusammen.