Leg nicht auf


Joana Tischkaus „Being Pink Ain’t Easy“ thematisiert in den Sophiensæle Männlichkeit zwischen Projektion und Emotion.

von Nick Krause

Der fettig triefende Speck zischt zwischen dem rosa Glätteisen. Mit zwei Scheiben Toast wird er von den im Scheinwerferlicht glänzenden Lippen verspeist. Minutenlang. Großaufnahme. Es fühlt sich persönlich an. Vielleicht provokant. Immerhin bin ich es, der von Rudi Äneas Natterer so intensiv angeschaut wird. Mit anzüglichem Halbgrinsen, coolem Männermodel-Stirnrunzeln oder Hundeaugen. In den Augen von Natterer passiert in Joana Tischkaus „Being Pink Ain’t Easy“ ganz viel auf engem Raum. Der Rest ist pink.

Die einstündige Online-Performance der Sophiensæle ist eine abstrakte Darstellung von heterosexueller Männlichkeit der US-Rap-Welt und seinem 2000er Trend aus Pink und Plüsch. Diese Welt ist trotz minimalistischem Bühnenbild nicht zu übersehen. Natterer sitzt allein auf einem pinken lehnenlosen Sofa, eingerahmt von drei pinken Quadraten, und streckt den Finger aus wie in Michelangelos Erschaffung Adams. Der Kamerablick fährt zärtlich über seinen Körper. Im Detail: Das rosa Basketball-Tanktop, dicke Metallketten, weite rosa Shorts und rosa Turnschuhe. Mit rosa Durag und Tränen-Tattoo unterm Auge ist der Gangsta-Look komplett – nur eben, genau, in pink.

Passiert ist bis jetzt noch nicht viel. Langsamer Posen-Wechsel zu langsamen Kamerafahrten. Jede Bewegung knistert und raschelt. Huch, jetzt klingelt ein Telefon. Ein pinkes Klapphandy wird herausgeholt. Natterer blickt in die Kamera und legt auf. Er bewegt sich wie eine lebende Statue, steckt das Handy in seine Socke. Es ist, als würde man dem langsamsten Fotoshooting der Welt zuschauen. Noch ein Handy klingelt, nicht in der Socke, sondern in der Hosentasche, wieder legt er auf.

„Yo, it’s me. Don’t hang up on me, bro”, sagt eine kratzige Stimme in Horrorfilm-Manier. Natterer spricht nie, hört nur zu. Oder eben auch nicht. Auf wie vielen Handys wird er noch auflegen? So wie er in die Kamera starrt, könnte er mich auch herausfordernd fragen, wie lange ich ihm noch dabei zuschauen werde. Doch ich kann auch nicht wegsehen. Die Bewegungen haben etwas Hypnotisches. Zur Techno-Musik wird er schneller, tanzt und rennt plötzlich durch die Seiten der Rahmen-Box im Kreis. Bis das Handy wieder klingelt. Der schrille 8-bit-Klingelton reißt mich jedes Mal aus der Hypnose. Wer ist diese Stimme und was will sie? Helfen? Du fühlst schon seit einer Weile, dass etwas nicht stimmt, sagt sie ihm. „I know being pink ain’t easy.“ Natterer guckt so leidend in die Kamera, als hätte man ihm eine Tragödie verkündet. „I am here to help you get rid of that pink guilt.”

Es ist beeindruckend, wie wenig passieren muss, um viel zu erzählen und wie wenig erzählt werden muss, um etwas zu sagen. Oppositionen kommen zusammen, die nicht funktionieren sollten, aber es genau deswegen tun. Die vorher maskulin konnotierten Posen werden zu sexualisiert femininen, wenn Natterer auf Händen und Knien den Po in die Luft streckt. Der ständige Wechsel von Sexyness zu Leid. Die Stimme, die bedrohlich spricht, aber Trost bietet: „It’s okay to cry, you know?”

Das von einem Mann zum anderen zu hören, tut überraschend gut. Dann weinen sie zusammen, die Stimme laut schluchzend und Natterer lautlos. Seine Tränen sitzen in den kauernden Körperbewegungen. Wenn er im blauen Licht gegen die Wand zusammenbricht und die Schuhe, die Ringe, die Ketten und das Top ablegt, spüre ich die Schwere in seinem Körper mit. Sie hat sich über die letzte Stunde aufgebaut. Natterer kriecht in die Box zurück. Die Box war ja immer ein offenes Konstrukt.

Die letzten Minuten sind wohl die stärksten des Abends. Zu Jagged Edges „Walked Outta Heaven“ tanzt Natterer eine Contemporary-Dance-Einlage, in der sich alles über die letzte Stunde Gefühlte im Körper abzeichnet. Der wird plötzlich ganz leicht, rollt und springt umher. Am Ende nimmt er das Gegenstück zur Adams-Pose des Beginns ein – Gott. „Asking God to please forgive me“, heißt es im Song. Hat Natterer sich also selbst vergeben können?

Auch wenn „Being Pink Ain’t Easy“ einen mit Interpretations- und Gefühlsfragen zurücklässt, die so offen sind wie die pinke Bühnenbox, berührt Tischkaus Konzept und Choreografie auf überraschend simple Art und Weise und ist zudem noch sehr ästhetisch anzusehen. Der Abend nimmt sich an manchen Stellen zwar seine Zeit. Aber hält man diese Stille aus, so offenbart sich einem etwas Unerwartetes. Manchmal muss man eben auch in seinen eigenen Gefühlen sitzen können, um sie zu verstehen.