Klasse und Kluft
Kristina Dreit, Karolina Dreit und Anna Trzpis-McLean sind mit „Fashionshow: Working Class Daughters” Teil der Introducing-Reihe beim Performing Arts Festival Berlin 2021. 2019 führten sie das Projekt im Frankfurt LAB als Live-Performance auf. Für das PAF haben sie es zu einem Online-Hörstück inklusive Installation umfunktioniert. Das Herzstück bleiben Interviews von Frauen* und Queers und die Intersektionalität von Klasse, die in den persönlichen Erzählungen deutlich wird, etwa in der Verknüpfung von Klasse mit Migration.
von Sara Rosenkranz
Ihr behandelt mit „Fashionshow: Working Class Daughters“ sehr komplexe Themen wie Klasse und Geschlecht und verwendet verschiedene Medien. Wie würdet ihr eure Installation in nur drei Wörtern beschreiben?
Karolina: Drei Wörter… Intersektional.
Kristina: Das ist gut! Informell?
Karolina: Vielleicht noch… Hörraum!?
Die Idee basiert unter anderem auf persönlichen Erfahrungen. Könnt ihr etwas zu euren persönlichen Hintergründen erzählen?
Kristina: Ich würde das jetzt auf uns beide beschränken, weil Anna nicht hier ist. Ich habe in Hildesheim und Zürich studiert und mache gerade meinen Abschluss an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Ich komme schon stark aus dem Performance- und Theater-Kontext, den wir unter anderem auch in unserer Arbeit befragen – mit den ganzen Codes und Ausschlüssen, die dort produziert werden.
Karolina: Ich würde die Frage anders beantworten. Meine Idee war erstmal: Ich bin Working Class Academic, habe aber dem Akademischen den Rücken gekehrt und bin seitdem in verschiedenen Bereichen als Kulturarbeiterin tätig. Der Klassenhintergrund ist bei uns allen nicht eindeutig und gleich und wir haben auf jeden Fall verschiedene Bezüge zu „Working Class“, auch als Selbstbezeichnung. Dieses Thema ist für uns also auch persönlich wichtig.
Wie ergänzt ihr euch mit euren verschiedenen Hintergründen als Gruppe?
Karolina: Als post-sowjetische Migrantinnen haben wir natürlich nochmal einen anderen Bezug zur Working Class, weil alle dort auf eine Art Arbeiter:innen waren. Daneben haben wir verschiede Zugänge: Ich bin zum Beispiel soziologisch geprägt, Kristina mehr durch Theater und Performance. Und Anna ist als freie Künstlerin und Bühnenbildnerin tätig und hat dadurch ein anderes räumliches Denken. Das wird durch unsere Familien- und Migrationshintergründe durchkreuzt. Ich glaube, da findet aber auch vieles intuitiv statt, weil wir uns schon so lange kennen und auf ähnliches Wissen zurückgreifen können.
Warum habt ihr als Teil des Projekts Mode in Form einer T-Shirt-Kollektion entworfen?
Kristina: Die Idee entstand damals für das Frankfurt Lab und war, sich mit dem Modephänomen der Arbeitskleidung auseinanderzusetzen, die in High-Fashion-Kontexte überführt wurden. Ein Modelabel hat zum Beispiel DHL-T-Shirts gedruckt und sie dann auf dem Catwalk präsentiert. Wir fanden die Situation absurd, dass die Arbeitskleidung, die ja auch im Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen steht, die kritisiert werden müssen, als Fashion und Luxus behandelt wird und haben uns vorgestellt, wie ein:e DHL-Bot:in auf eine Person trifft, die auch so ein T-Shirt anhat.
Karolina: Ich fand das Beispiel auch so spannend, weil es diese verschiedenen Welten und Wirklichkeiten zeigt und wem da zugehört wird. Wessen Wirklichkeit ist sichtbar und wessen nicht? Es ist halt classy so ein DHL-T-Shirt zu tragen, wenn man sich nicht den Arsch abarbeiten muss.
Inwiefern unterscheidet sich die Installation, die beim PAF gezeigt wird, von der Performance im Frankfurt LAB 2019?
Kristina: Durch die Einschränkungen konnten wir etwas umsetzen, das wir schon lange vorhatten, nämlich eine Installation eines T-Shirt-Verkaufs als Autoverkauf. In Frankfurt haben wir mit der Performance einen Hörraum geschaffen, der sehr viel mit der Co-Präsenz der Hörenden zu tun hatte. Es war uns wichtig, dass man sich gemeinsam diese Geschichten anhört. Unser Fokus war, wie ein Raum geschaffen werden kann, in dem man zusammen hört. Das hat sich jetzt in der Installation nochmal verändert.
Karolina: Die Installation mit dem Auto ist ja eine Adaption der Performance extra fürs PAF. Ich glaube, dass in der Installation die Zuhörenden noch näher an die Interviews rücken. In Frankfurt war es ein großer Kreis, in dem wir gemeinsam gehört haben. Jetzt rücken die Person, die zuhört und die Stimmen näher zusammen. Ich glaube, das hat nochmal eine andere Intimität. Und dadurch, dass sie aus diesem Autoradio kommen, behaupten wir einfach, dass sie auch Teil der öffentlichen Erzählung sind.
Ihr habt das Hören mit mehr Intimität verglichen. Habt ihr euch deshalb dafür entschieden, die Perfomance als Hörstück aufzunehmen und nicht als Video?
Kristina: Genau. Was wir beim PAF zeigen, ist eine Audiobeschreibung der Installation und die Interviews. Uns war es wichtig, die Interviews auch in einer Onlineversion zugänglich zu machen. Aber es hat für uns nicht funktioniert, es losgelöst von der Installation zu zeigen. Wir fanden die Möglichkeit der Audiobeschreibung einfach cool, weil es auf der gleichen Ebene passiert wie die Interviews. Außerdem regt es die Imagination zu einer Installation an, die nie besucht wurde. Wir fanden das irgendwie eindrücklicher, als nur Bilder oder ein Video zu zeigen.
Wie habt ihr die Auswahl für die Interviewpartnerinnen getroffen?
Karolina: Der Beginn der Interviewreihe ist von unserem Freund:innen- und Bekanntenkreis ausgegangen. Wir haben damals fünf oder sechs Frauen* interviewt. Wir führen jetzt weiter Interviews – das ist so ein ständiges Anlegen eines Archivs. Langsam weitet sich dieser Kreis, sodass auch Leute auf uns zukommen, die wir gar nicht kennen.
Was habt ihr mit dem Interview-Archiv vor?
Karolina: Im Herbst steht ein größeres Projekt in Aussicht unter dem Titel „Working Class By Daughters“ im „District“ hier in Berlin. Ich glaube, das ist dann auch der Abschluss dieser Fashionshow-Auseinandersetzung. Aber in dem Rahmen führen wir gerade noch Interviews, die dann im Herbst im größeren Format präsentiert werden.
Was war für euch persönlich der größte Augenöffner während der Interviews und des Arbeitsprozesses?
Karolina: Ich fand es interessant, in den Interviews immer wieder Parallelen zu finden zwischen den Interviews und meiner eigenen Biografie. Also, eine Frage ist auch: Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass es Klassen gibt? Viele haben beispielsweise gesagt, dass der Übergang von der Grundschule aufs Gymnasium etwas ist, das sie stark mit Klasse verbinden und ihnen da häufig aufgefallen ist, dass es Klassen gibt und welcher Klasse sie angehören. Für mich ist es immer wieder augenöffnend, diese Zusammenhänge zu sehen und festzustellen, dass diese Leben alle so verschieden sind, aber es Momente gibt, die strukturell bedingt sind.
Kristina: Auch mich begleiten diese Geschichten aus den Interviews, wenn ich Bezüge im Alltag sehe und mich an das Gesagte erinnere. Wir haben 2018 damit angefangen, diese Interviews zu führen. Damals haben wir gemerkt, dass uns diese Auseinandersetzung mit Klasse fehlt. Mittlerweile gibt es ja einige Publikationen zu dem Thema. Wir haben damals versucht, diese Verbindung stärker herzustellen und uns selbst dadurch auch mehr zu verstehen. Dieser Verstehensprozess findet bei mir durch die Interviews immer noch statt.
Was muss eurer Meinung nach in der Kunst- und Theaterszene gemacht werden, um Klassen- und Geschlechterdiskriminierung weiter entgegenzuwirken?
Karolina: Gerade in der Theaterbranche, weil man da auch gesellschaftskritische Themen behandelt, zumindest sehe ich das als Anspruch in der freien Szene, muss ganz viel an den Arbeitsbedingungen geändert werden, damit überhaupt ein Raum entstehen kann, wo über Klassen-, Geschlechter- und andere Formen von Diskriminierung, auch Rassismus oder Transphobie gesprochen werden kann. Im Theaterbusiness muss alles schnell gehen, alles ist total wichtig. Zu dieser Form von Aufregung, die ja auch Spaß bringen kann, muss es auch Pausen geben, in denen man die Arbeitsbedingungen und Prozesse reflektieren kann. Es gibt zum Beispiel so ein Handbuch für Künstler:innen mit Kindern, da gibt es einen Punkt, der heißt: „Bitte stellt keine total dringenden, spontanen und kurzfristigen Anfragen“. Ich habe selbst ein Kind und gedacht, sowas funktioniert mit Kind einfach nicht. Im zweiten Schritt habe ich gedacht: Eigentlich funktioniert das auch ohne Kind nicht. Es gibt von diesem Raum und dieser Zeit einfach zu wenig, in denen man überlegt, wie man zusammenarbeiten möchte und wie es gut für alle Beteiligten ist – und diesen Raum braucht es, am besten bezahlt.
Kristina: Stimmt! Ich musste jetzt spontan aber noch an Theater als bürgerliche Institution denken. Zum Beispiel an alle bürgerlichen Codes, die dem Theater angeheftet sind und wie damit umzugehen ist. Es wäre auch spannend, diese Entwicklung einmal historisch nachzuvollziehen. Die Volksbühne war zum Beispiel ein Arbeiter:innen-Theater. Es wäre gut zu verstehen, warum diese Arbeiter:innen-Kultur immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurde. Und was da heute noch passiert.