Gebären ist Bodybuilding


Frauen und Fiktion erzählen in „Care Affair“ am TD Berlin von der ungewürdigten Rolle von Care-Arbeit. 

von Nick Krause

All diese Muskeln, Muskeln, a-a-all diese Muskeln. Zu im Remix zerschnittenen Satzfetzen räkelt sich Marilyn Nova White über die blau-weiße Projektion auf dem Bühnenpodest. Um wieviel sich die Muskeln beim Gebären weiten, staunt die Off-Stimme zu Technobeats, während White ihre anspannt. Ach, das Wunder der Geburt. Aber nein, eigentlich gar kein Wunder. So viel Arbeit, wie ein gebärender Körper da reinsteckt, sei es fast wie Bodybuilding. Und damit ist es ja noch nicht getan, da beginnt die Arbeit erst. Wer arbeitet da überhaupt? Wie? Und warum?

Das fragen in dem am TD Berlin produzierten Stück „Care Affair“ auch Anja Kerschkewicz, Eva Kessler, Felina Levits, Paula Reissig von Frauen und Fiktion mit Marilyn Nova White, Gregor Schuster, Jonas Mahari und Geraldine Schabraque als Performer:innen. Die vier leiten den Abend mit spezifischer Begrüßung (an Single-Mamas, Adoptivkinder, gebärende Väter, …) und einem Farbkonzept ein: schwarze Streifen auf weißem Grund, wie dann auch der auf die Treppe und den Vorhang projizierte Hintergrund. Camouflage quasi. In den Hintergrund rücken, ungesehen sein, ist auch thematisch höchst relevant. Denn: „Heute geht es um Menschen, die Sorge tragen. Heute geht es um Care.“

Care-Arbeiter:innen widmet sich dieser Abend ganz besonders – in der Form der queeren Performer:innen per Nacherzählung und Lip-Sync wie aus einer Drag-Show. Während auf der Leinwand die projizierte Bühne nach und nach mit Pflanzen dekoriert wird – da sieht man die Pflege ja sofort – werden vorn Geschichten vom Unsichtbaren erzählt. Von Care Work und weniger traditionellen Familienkonstellationen. Wer pflegt eigentlich wen und wie hängt das mit Geschlechterrollen zusammen? Nur 15 Prozent der unbezahlten Arbeit von Frauen machen zum Beispiel schon mehr Stunden aus, als im Gesundheitssystem bezahlt gearbeitet werden. Erschreckend. Und erschreckend ungewürdigt.

So leiten die Performer:innen mit Fragen und Fakten durch den Abend. Im Ping-Pong-Austausch und auf Stöckelschuhen. Es gibt nämlich sehr viel über Pflege zu sagen. Erzählt die eine aus ihrer Perspektive als Care-Migrantin, muss die andere sich für ihren Stundenlohn als Aufräumhilfe rechtfertigen. Während der eine sich als Krankenpfleger nicht ernstgenommen fühlt, nervt die andere gerade, dass man ihr als Hebamme vertraut, weil sie Frau ist und Kinder hat und nicht, weil sie medizinische Expertise hat. „Ein Zahnarzt braucht doch auch keine Löcher, um ein guter Zahnarzt zu sein.“

Aus den durch Interviews gesammelten Erzählungen wird immer wieder klar, wo das Problem mit Care Work liegt: Zu wenig Entlohnung, zu wenig Anerkennung. Dabei wischen Schuster und Schabraque das Wasser der vorherigen Szene noch ganz nebenbei auf. „Wenn Männer Kinder kriegen würden, würden sie damit angeben“, behauptet Schabraque. Und selbstverständlich viel besser bezahlt werden. Doch die Performer:innen zeigen auf kreative Weise, dass es auch anders geht; jenseits von dem, was im derzeitigen Wirtschaftsmodell als produktiv und für den Staat als legitime Familie gilt.

Sie erzählen echte Geschichten, in denen das funktioniert: Elternschaft zu dritt, stillende trans Männer, eine neue Pflegebewegung, in der Pflege mit anderen Tätigkeiten gleichgestellt wird. Man müsste Ökonomie eben feministischer denken. Auf der Leinwand schmeißen sie in bunter Familienkonstellation eine Poolparty am Greenscreen-Strand – mit Baby und pinkem Tüll. Eine ideale, heile, queere Welt, in der Sorge und Liebe für alle da ist.

Manchmal fühlt man sich gar zu erschlagen vom Informationsfluss, aber das regt eigentlich nur zum genauen Zuhören über die unsichtbaren Ungerechtigkeiten an, über die man vorher selbst noch nicht nachgedacht hat. Eine Besonderheit des Abends war ja, dass er tatsächlich vor Live-Publikum stattfinden konnte, zusätzlich zum Streaming-Angebot. Da machen es einem der im Körper spürbare Bass der Musik und das gemeinsame Lachen über manche mit Humor formulierten Sätze gleich ganz leicht, aus den eigenen Gedanken raus und gedanklich dabei zu sein. Ist ja nicht immer ganz einfach vor dem Bildschirm. Auch als am Ende wieder die Care-Arbeiter:innen durch die Lippenbewegungen der Performer:innen zu Wort kommen, wird nochmal klar: Es geht hier um reale Probleme, reale Menschen, die diese Performance so unterhaltsam ans Licht bringt.

„Care Affair“ schafft es so, mit viel Witz und Sympathie den wohl ästhetischsten Info-Abend über das Sorgetragen zu kreieren und Menschen der Care-Arbeit durch ihre Körper hindurch eine Bühne für ihre Geschichten zu geben. Es war ein wundervoller Einstieg zurück zum Theater in Präsenz. Die einzige Gefahr: Über Kindergebären und Bodybuilding wird man danach wahrscheinlich nie wieder nachdenken können wie vorher.