Das ist nicht „la dolce vita“
„Shell“ vom Künstlerinnenkollektiv ACap, „Ka im Grab“ von Regisseurin Anoush Azizi und „The Voice of Women“ von Heads and Voices behandeln alltägliche und politische Ereignisse aus der Sicht von Frauen.
von Sara Rosenkranz
Drei Performances von Frauen über Frauen an einem Tag: Allein das zeigt, wie wichtig die Themen Gewalt gegen und Unterdrückung von Frauen sind. Das beginnt mit „Shell“ der Künstlerinnen Astrid Rostaing und Cloé de Coquereaumont, die die 2019 gegründete Gruppe ACap (As Clo as possible) bilden.
„Bonjour Madame Rostaing!“ Rostaing sitzt auf einem schwarzen Stuhl, in einem weißen Raum mit grauem Kopfsteinpflasterboden. Sie gibt den Dialog zwischen ihrem Arbeitgeber und sich selbst im Moment einer Kündigung wieder. Im Hintergrund schreibt de Coquereaumont mit schwarzem Edding Wörter auf einen Banner: INCOHERENT. Rostaing steht auf und dreht sich im Kreis, sie bezweifelt, nicht gut genug zu sein. INSTABLE. FRAGILE – liest sie an der Wand.
Rostaing und de Coquereaumont visualisieren mit ihrer Performance Gespaltenheit und Selbstzweifel im Alltag. Auch wer von außen wirkt wie die Ruhe selbst, kann innen brodeln. Sie kommentieren damit auch den Leistungsdruck und das Bedürfnis mithalten zu können, insbesondere bei (jungen) Frauen.
So, als die beiden Frauen eine Choreografie beginnen. Sie stehen sich gegenüber, zwischen ihnen eine Kleiderstange, und probieren Hemden an, bis sie schließlich beide ein hellblaues Jeanshemd tragen. Sie stehen voreinander, bewegen Arme und Köpfe zur Seite, im Hintergrund ein Gedankenstrom aus gesprochenen Worten. „La dolce vita c'est pas ici, ma belle“ – das süße Leben ist nicht hier.
Während Rostaing drinnen tanzt und keucht, steht de Coquereaumont draußen vor einer Glastür, raucht und schaut zu. Schließlich geht sie rein, zerknüllt das beschriebene Banner und beginnt es Rostaing in den Mund zu stopfen. Sie wickeln sich gemeinsam in das Papier ein und blicken nach oben. Der Bildschirm wird schwarz und Papier zerreißt.
Konkreter ist die Situation in „Ka im Grab“. Die einstündige Performance-Aufzeichnung in der Regie von Anoush Azizi entstand in Kooperation mit der Berliner Schule für Schauspiel. Maryam Mansouri adressiert mit ihrem Text ein ähnliches Thema wie „Shell“: die Zerrissenheit und Unterdrückung von Frauen. Allerdings ist der Kontext ein anderer: Es geht um die Erfahrungen zweier Schwestern vor, während und nach dem ägyptischen Frühling.
Frauen liegen unter weißen, blickdurchlässigen Tüchern. Ihre Augen sind weit geöffnet, nur langsam können sie sich befreien, bevor sie sich gemeinsam im Takt zur Flötenmusik bewegen und wieder zu Boden fallen.
Die ältere Schwester Natifa, gespielt von Lydia Steer, zerquetscht imaginäre Kakerlaken. Kakerlaken sterben nur, wenn man sie ertränkt, im Nil zum Beispiel, erklärt sie. Sie vermisst ihre verstorbene Mutter und hasst ihren Vater, der sie verlassen hat. Sie musste die Verantwortung für ihre kleine Schwester Rahel übernehmen: „Zur Schule und nach Hause. Zur Schule und nach Hause.“ Sie selbst ist einsam.
Rahel, gespielt von Lydia Georgantzi, sitzt auf der anderen Seite der schwarzen Bühne. Sie sucht ihren Freund Yusuf. Sie beschwert sich über Natifa, denn sie war nie für Rahel da. Sie erinnert sich an die Aufstände auf dem Tahrir-Platz. Kairo war im Grab, und so waren und sind es auch die Frauen. Doch anders als ihre Schwester steht Rahel für ihre Rechte ein. Sie ist erschöpft, möchte im Nil verschwinden, aber sie kämpft. Sie spielt die Aufstände mit kleinen mumifizierten Puppen nach, bricht ihnen die Köpfe ab. Langsam entfaltet sich ihr Schicksal, ihre Vergewaltigung und wie sie verhindern möchte, dass weitere Frauen missbraucht werden.
Doch dazu kommt Rahel nicht mehr. „Wir müssen das Haus anzünden und verbrennen. Du musst verbrennen, um rein zu werden“, wiederholt Natifa immer wieder, gemeinsam mit den anderen Schauspielerinnen. Sie entfacht das Feuer.
„Ka im Grab“ zeigt verschiedene Perspektiven und Umgänge mit Trauma und Widerstand – bedrückend.
Mit der Unterdrückung von Frauen und ihren Stimmen beschäftigt sich auch das Kollektiv Heads and Voices mit „The Voice of Women“. In der 50-minütigen Livestream-Performance verbinden Judith Evers, Ilona Ottenbreit und Irene Graziadei Sprache, Malerei und Musik. Indem sie Ausschnitte aus Reden von fünf ausgewählten Aktivistinnen wiederholen, wollen sie den Stimmen der Frauen erneut einen Raum schenken.
Im weißen Raum steht Graziadei hinter ihrem Laptop zwischen Instrumenten. Mit einer Loop-Maschine baut sie einen Beat aus Mundharmonika und Gesang. Währenddessen wird ein Bild von Malala Yousafzai, der pakistanischen Kinderrechtsaktivistin, auf eine Leinwand projiziert. Ottenbreit beginnt das Foto nachzumalen. „Ich kann nichts mehr hören ... Sie haben auf mich geschossen“, spricht Evers. „Sie wollten mich aus dem Verkehr ziehen.“
Es folgt eine Projektion von Rebecca Lolosoli, Gründerin des Frauendorfs „Umoja“ in Kenia. „Das ist Tradition. Er darf seine Frau schlagen. … Ich stehe wieder auf und ich werde einen sicheren Ort schaffen.“ – wieder formen die Worte einen sich wiederholenden Beat, unterlegt von Graziadeis Gitarre. Parallel malt Ottenbreit Lolosolis Gesicht über das von Malala.
Dieses Szenario wiederholt sich mit Bildern und Sätzen der Vorsitzenden der Menschenrechtsinitiative „OUR HOUSE“ Olga Karach aus Belarus, Black Lives Matter-Mitgründerin Patrisse Khan-Cullors und der saudi-arabischen Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul. Allmählich entsteht ein großes Gemälde, das sie alle verbindet.
Während ich es unfassbar wichtig finde, Stimmen relevanter (und eigentlich aller) Frauen im Alltag und der Kultur hervorzuheben, hat mir in diesem Fall stellenweise der Kontext gefehlt. Wenn man über die Frauen wenig weiß, klären einen die Zitate auch nicht auf, was ihre Dringlichkeit mindert. Auch die Namen der Aktivistinnen hätten im gesprochenen Text und nicht nur auf dem Bildschirm vorkommen sollen.
Insgesamt bin ich froh, dass es aktuell so viele Performances von Frauen über Frauen gibt. Zumal die drei nicht die einzigen im Programm des Performing Arts Festival Berlin sind. Ich hätte es persönlich jedoch aufbauend gefunden, eine Performance mit einem Lichtblick zu sehen. Auch ein Hauch Positivität und Leichtigkeit kann Veränderung bringen. Dem kam „Shell“ am Nächsten. Allerdings hatte „Shell“ auch keine Aufstände oder lebensbedrohlichen Situationen zum Thema. Wichtig aber waren sie alle, um von der immer noch bestehenden Unterdrückung von Frauen auf verschiedenste Arten zu erzählen. Und von der Dringlichkeit, ihr endlich ein Ende zu setzen.